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Keine Wirkung ohne Nebenwirkung

Expertentipps zu Medikamenten im Straßenverkehr

Wer Medikamente einnimmt, setzt vor allem auf deren heilende Wirkung: Schmerzen und Beschwerden lassen nach, Leistungsfähigkeit und Wohlbefinden kehren zurück. Doch so gut wie jedes Medikament hat auch unerwünschte Wirkungen, die so stark ausfallen können, dass sie die Fahrtüchtigkeit beeinträchtigen. Müdigkeit, verlangsamte Reaktion und Einschränkungen bei der Wahrnehmung von Abstand und Geschwindigkeit machen Medikamente am Steuer zum Risiko im Straßenverkehr. Mediziner und Verkehrsexperten informierten am Lesertelefon des Deutschen Verkehrssicherheitsrates (DVR), worauf Autofahrer achten sollten. Hier die wichtigsten Tipps: 


Beeinflussen auch pflanzliche Beruhigungs- oder Schlafmittel die Fahrtüchtigkeit am Folgetag?

Dr. med. Renate Zunft: Pflanzlich ist nicht gleichzusetzen mit unbedenklich. Es gibt sehr wirksame pflanzliche Medikamente. Genauso wie für andere Medikamente gilt für Medikamente aus pflanzlicher Herkunft: neben der gewünschten Wirkung sind auch Nebenwirkungen vorhanden. Bei Beruhigungs- und Schlafmitteln muss zudem beachtet werden, dass bereits die gewünschte Wirkung die Fahrtüchtigkeit beeinträchtigen kann. Beruhigung und Schläfrigkeit sind eine Gefährdung bei der aktiven Teilnahme am Straßenverkehr.

 

Und was ist mit herkömmlichen Schmerzmitteln wie Ibuprofen oder Paracetamol?

Dr. med. Renate Zunft: Rezeptfreie, leichte Schmerzmittel beeinträchtigen die Fahrtüchtigkeit nicht wesentlich. Man sollte jedoch prüfen, ob trotz Schmerzen, Bewegungsbeeinträchtigungen oder auch Erkältungsbeschwerden der Gesundheitszustand und die Leistungsfähigkeit ausreichend ist, um ein Kraftfahrzeug sicher zu führen. Die Medikamente könnten zudem den Eindruck vermitteln, dass es Ihnen besser geht, obwohl Leistungen wie Reaktionsvermögen und Aufnahmefähigkeit weiterhin gemindert sind.

 

Ich nehme ein schwach wirksames Opioid als Schmerzmittel ein. Kann ich trotzdem Auto fahren?

Dr. med. Birger Neubauer: Opioide zählen zu den stärksten und wirksamsten Schmerzmitteln in der Medizin. Neben der schmerzstillenden Wirkung kann es zu Nebenwirkungen kommen, die zum Beispiel das Reaktionsvermögen beeinträchtigen. In Studien wurden Gesunden einmalig Opioide verabreicht, um Auswirkungen auf ihre Fahreignung zu überprüfen. Das Ergebnis: Es zeigten sich fast durchgängig Leistungsbeeinträchtigungen. Sie sollten die Frage der Fahrtauglichkeit mit Ihrem Arzt besprechen und genau beobachten, ob die Opioid-Einnahme Sie zum Beispiel schläfrig oder euphorisch macht.

 

Woran kann ich selbst erkennen, ob meine Fahrtüchtigkeit gemindert ist?

Michael Heißing: Aufgrund der Vielzahl der möglichen Beeinträchtigungen gibt es leider kein einfaches Testverfahren, das Ihnen die Entscheidung abnehmen könnte. Informieren Sie sich auf jeden Fall vorab über die zu erwartenden Wirkungen und möglichen Nebenwirkungen Ihrer Medikamente, indem Sie die Hinweise in der Packungsbeilage lesen oder konkret Ihren Arzt ansprechen. Sie können dadurch gezielter beeinträchtigende Effekte wahrnehmen und somit besser einschätzen, ob eine ausreichende Fahrsicherheit gegeben ist. Im Zweifel sollten Sie den Wagen lieber stehen lassen.

 

Warum sind Kombinationspräparate gegen Schmerzen unter Umständen gefährlich?

Dr. med. Birger Neubauer: Schmerzmittel, die eine Kombination aus einem schmerzstillenden Wirkstoff und beispielsweise Koffein enthalten, können nicht nur schmerzstillend, sondern auch anregend und aufputschend wirken. Die so entstehende Unruhe kann die Fahrtüchtigkeit beeinträchtigen, vor allem aber fühlen Sie sich unter Umständen fitter als Sie tatsächlich sind. In kritischen Situationen kann das ein gefährlicher Trugschluss sein.

 

Ich nehme wegen einer chronischen Erkrankung über den Tag verteilt sechs Medikamente ein. Wie erfahre ich, ob es da Wechselwirkungen gibt?

Dr. med. Renate Zunft: Wechselwirkungen zwischen Medikamenten sind häufig und für den Patienten schwer erkennbar. Da hilft auch der Blick in den Beipackzettel wenig. Besprechen Sie mit dem behandelnden Arzt Ihre Bedenken. Besondere Aufmerksamkeit ist immer dann geboten, wenn nach Verordnung eines zusätzlichen neuen Medikamentes unerwartete und starke Wirkungen oder Nebenwirkungen auftreten. Insbesondere die Verordnung mehrerer Substanzen mit Wirkung auf das psychische Befinden lassen negative Auswirkungen auf Reaktionsfähigkeit, Konzentration und Aufmerksamkeit erwarten und können damit die Fahrtüchtigkeit einschränken.

 

Können auch Wechselwirkungen mit bestimmten Lebensmitteln oder Getränken auftreten?

Michael Heißing: Durchaus – und vieles hängt dabei von der Art und Weise ab, wie ein Medikament im Körper verarbeitet wird. Hier können bereits bei der Einnahme mit der falschen Flüssigkeit unerwünschte Wirkungen entstehen – auch ein Wirkungsverlust des Medikaments ist nicht auszuschließen. Besonderheiten zu Wechselwirkungen finden Sie zwar in der Packungsbeilage, doch was konkret in Ihrem Falle zu beachten ist, sollten Sie mit Ihrem Arzt besprechen. Grundsätzlich gilt: Bei gleichzeitigem Alkoholkonsum müssen Sie besonders vorsichtig sein, da sich hier häufig die beeinträchtigenden Wirkungen von Medikament und Alkohol gegenseitig verstärken.

 

Wo steht im Beipackzettel, ob Medikamente die Fahrtüchtigkeit einschränken können?

Dr. med. Birger Neubauer: Jedes zugelassene Medikament verfügt über eine Packungsbeilage, deren Inhalt durch das Arzneimittelgesetz geregelt ist. Sie führt unter anderem Informationen zu Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten auf sowie Angaben über die Nebenwirkungen, einschließlich der Häufigkeit, in der diese auftreten. Die Packungsbeilage hilft also, Sie für mögliche Nebenwirkungen zu sensibilisieren. Allerdings sind Beipackzettel nicht immer leicht zu verstehen. Im Zweifel sollten Sie sich nicht scheuen, tatsächlich Ihren Arzt oder Apotheker zu fragen.

 

Gibt es eine Liste von Medikamenten, unter denen man nicht Auto fahren sollte?

Michael Heißing: Nein – eine zusammenfassende Übersicht zu allen aktuellen Medikamenten und deren möglichen Beeinträchtigungen der Fahrsicherheit existiert nicht. Eine einfache, allgemein gehaltene Aussage hierzu wäre auch unangemessen, da zu viele Faktoren eine Rolle spielen, zum Beispiel Dosis, Dauer der Behandlung, Zubereitung des Medikaments, Grunderkrankung und vieles mehr. Es gibt jedoch bestimmte Medikamentengruppen, bei denen verstärkt beeinträchtigende Wirkungen auftreten können. Dazu gehören Schlaf- und Beruhigungsmittel, Schmerzmedikamente, antiallergische Medikamente, Mittel gegen Depressionen oder auch Mittel zur Behandlung des Blutdrucks.

 

Gilt es Besonderheiten zu beachten, wenn Patienten Cannabis im Rahmen einer medizinischen Therapie einnehmen?

Dr. med. Renate Zunft: Ebenso wie bei der Einnahme von anderen Medikamenten sollte der behandelnde Arzt Patienten über Besonderheiten aufklären, die im Zusammenhang mit der Teilnahme am Straßenverkehr stehen. Vor allem zu Beginn der Therapie können die psychotrope Wirkung von Cannabis sowie weitere Nebenwirkungen stark beeinträchtigen. Sie sollten erst dann ein Kraftfahrzeug führen, wenn der behandelnde Arzt Ihnen dies ausdrücklich erlaubt hat. Bei einer Verkehrskontrolle sollten Patienten eine Kopie der Verordnung mit sich führen, um nachzuweisen, dass sie Cannabis aus medizinischen Gründen einnehmen.

 

Wird das Fahren unter Medikamenteneinwirkung bestraft? Geht bei einem Unfall der Versicherungsschutz verloren?

Michael Heißing: Die Einnahme von Medikamenten alleine rechtfertigt weder das Eine noch das Andere. Allerdings gilt: Wenn Sie in einem fahruntüchtigen Zustand ein Fahrzeug führen, machen Sie sich strafbar. Das gilt unabhängig davon, ob diese Beeinträchtigungen durch Medikamente oder andere Ursachen wie beispielsweise Übermüdung oder Alkoholkonsum hervorgerufen wurden. Kommt es in einem solchen Zustand zu einer auffälligen Fahrweise oder verursachen Sie sogar einen Unfall, kann dies durchaus verkehrsrechtliche oder versicherungsrechtliche Folgen für Sie nach sich ziehen. Deshalb müssen Sie vor Antritt einer jeden Fahrt kritisch prüfen, ob Sie aktuell in der Lage sind, ein Fahrzeug sicher zu führen.

Weitere Informationen zum Thema Medikamente und Straßenverkehr unter
www.dvr.de/medikamente

Die Experten am Lesertelefon waren:

  • Dr. med. Renate Zunft; Medizinische Referentin TÜV NORD GmbH & Co. KG, Medizinisch-Psychologisches Institut, Hannover
  • Dr. med. Birger Neubauer; Referatsleiter Arbeitsmedizin/Arbeitspsychologie der Berufsgenossenschaft Verkehr (BG Verkehr), Hamburg
  • Michael Heißing; Arzt im Referat „Fahreignung, Fahrausbildung, Kraftfahrerrehabilitation“, Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt), Bergisch Gladbach




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